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Nachhaltige Mobilitaet zwischen oekonomischer und oekologischer Anforderungen

Anforderungen an eine nachhaltige Mobilitaet

Die oekonomische Perspektive

Beim Prinzip der Nachhaltigkeit steht für den Leiter des Fachbereichs Handel, Verkehr, Telekommunikation, Dienstleistungen und regionale Wirtschaftspolitik des Deutschen Industrie- und Handelstages der klare Unterschied zwischen einer betriebswirtschaftlichen und einer gesamtwirtschaftlichen Sicht im Vordergrund. Die EU-Kommission habe in ihrem Weissbuch die gesamtwirtschaftliche Sicht gewählt, also einschliesslich der Einbeziehung externer Kosten. Der Versuch, die daraus gewonnenen Schlussfolgerungen weit über diese Sicht hinaus wissenschaftlich zu begruenden, sei allerdings aus seiner Sicht gruendlich missraten.

Wenn es um das oekonomische Prinzip gehe, rede man letztlich über Zielkonflikte. Dabei gelte es, von vornherein die Betrachtungsgrenzen weit genug zu ziehen, denn Mobilitaet sei zentraler Bestandteil des gesamtwirtschaftlichen Geschehens, so dass jeder sektorale Loesungsansatz zwangsläufig erhebliche Auswirkungen auf alle anderen wirtschaftlichen Fragestellungen habe. Um hier einen Balanceakt zwischen den konfliktaeren Anspruechen von Produktion einerseits und Ressourceneinsatz andererseits zu ermöglichen, muesse man sich zuerst die verschiedenen Sichtweisen verdeutlichen: Aus oekonomischer Sicht stelle sich die Volkswirtschaft als eine Art Produktionsmaschine dar, die einen bestimmten Mobilitaetsbedarf besitze. Der oekonom versuche, dieses Mobilitaetsaufkommen sicherzustellen, weil die Produktion es erfordere, und nehme den dazu noetigen Ressourceneinsatz quasi billigend in Kauf.

Die ökologische Sichtweise hingegen agiert im Verstaendnis des Referenten genau andersherum. Sie gebe einer Volkswirtschaft eine bestimmte Umweltkapazitaet vor, die aus Gruenden der Ressourcenschonung schrittweise verringert werde. Erst danach wuerden die Auswirkungen auf die Produktion berücksichtigt. Reiche die Umweltkapazitaet für bestimmte Produktionen nicht mehr aus, muessten diese zurueckgefahren werden. Erste Ansaetze in dieser Richtung seien z.B. im Zusammenhang mit der Sommersmogverordnung zu erkennen, wo es darum gehe, den Verkehr generell, also auch den Wirtschaftsverkehr einzuschraenken. Wenn man ein solches Konzept verfolge, muesse man sich darüber im klaren sein, dass damit auch Teile der Produktion stillgelegt bzw. behindert werden.

Die Politik neige in diesem Zusammenhang sehr stark zur Vereinfachung. In politischen Reden hoere sich das Thema immer so an, als ob es lediglich darum gehe, Gueter oder Personen zwischen zwei Orten zu transportieren. Dass es aber auch darauf ankomme, mit der Dienstleistung Verkehr bestimmten qualitativen Anforderungen in einem zunehmend komplexer werdenden Geschehen gerecht zu werden, sei offenbar noch zu wenig durchgedrungen. Angesichts einer zunehmenden Arbeitsteilung nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, bzw. einer Verringerung der Fertigungstiefe veraendere sich aber das Verkehrsgeschehen weithin, und qualitative Aspekte gewaennen an Bedeutung. So seien z.B. auch in Deutschland immer weniger Massengueter zu transportieren, sondern zunehmend Stueckgueter in kleinen Losgroessen. Die Globalisierung der Absatz- und Beschaffungsmaerkte bringe eine Erhöhung der Transportweiten mit sich, und nicht zuletzt nehme wachstumsbedingt auch die Menge der Gueter zu.

Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, welcher Verkehrstraeger dazu am besten und konkurrenzfaehigsten in der Lage sei. Sicherlich sei es in dieser Hinsicht sinnvoll, verschiedene Verkehrstraeger zu integrieren, allerdings bleibe offen, wie weit man dieses Feld ausreizen koenne. Für Verkehrsverlagerungen auf die Schiene oder auf Wasserstrassen gebe es jedenfalls Grenzen. In politischen Reden gewinne man zwar häufig den Eindruck, als koenne man alle Gueter, die mit dem Lkw transportiert wuerden, auch mit der Eisenbahn oder der Binnenschiffahrt befoerdern. Aber das wuerde letztlich bedeuten, dass die zunehmend elektronisch gesteuerte Produktionskette einschliesslich der Logistik sich am Taktfahrplan der Deutschen Bahn AG ausrichten muesse oder am Wasserstand der Fluesse – eine ganz und gar unrealistische Annahme.

Auch die weitere Optimierung des Schienenverkehrs selbst sei nur begrenzt möglich. Natuerlich muesse Organisationsversagen, wie es sich z.B. in der geringen Durchschnittsgeschwindigkeit von 18 km/h für Guetertransporte mit der Bahn zeige [Fn.10: Der Moderator weist in der Diskussion darauf hin, dass z.B. ein Liefer wagen in London weit geringere Durchschnittsgeschwindigkeiten erreiche, so dass einige Unter nehmen inzwischen dazu uebergegan gen seien, morgens zwei Lkw auf verschiedenen Routen loszu schicken, um ihre Chancen auf recht zei ti ges Erreichen der Bestimmungsorte zu erhoehen. Vgl. hierzu auch die Darstellung des Modell projekts der Bosch-Siemens-Hausgeraete (Kap. 4.5), bei dem die Bahn immerhin eine für die dortigen Zwecke ausreichende Geschwindigkeit von 30 km/h erzielt.] , abgestellt werden. Die Probleme bei der Nutzung eines entscheidenden Systemvorteils der Bahn, naemlich der Langstreckentransporte, koennten aber nicht allein der Deutschen Bahn angelastet werden. Hier sei eine europaweite Bahnreform unerlaesslich, und erst wenn es mehr Wettbewerb auf der Schiene gebe, seien weitere Fortschritte zu erwarten.

Letztlich bleibe als Transportalternative angesichts der vielfaeltigen qualitativen Anforderungen häufig nur der Lkw übrig. Durch die Liberalisierung und Grenzoeffnung sei bereits eine bessere Auslastung der Transportkapazitaeten auf der Strasse erreicht worden. Die Preise seien gefallen, und die Spediteure muessten sich anstrengen, bei gegebenen Kosten ihre Transportgefaesse möglichst optimal auszuschoepfen. Ein langsam verschwindendes Relikt sei das Festhalten mancher Betriebe am Werkverkehr, der häufig leer zurueckfahre.

Insgesamt bleibe festzustellen, dass es derzeit keine Alternative für den Lkw gebe. Aus diesem Grund benoetige man gerade wegen des Verkehrszuwachses auf der Strasse den weiteren Ausbau der Strassenkapazitaeten. Sicherlich koenne und muesse mit Hilfe der Telematik der Durchsatz auf den Strassen gesteigert werden. An bestimmten Stellen des Strassenverkehrsnetzes in Deutschland werde aber auch der Ausbau um eine weitere Fahrspur benötigt, ebenso wie Lueckenschluesse. Damit koennten die Fahrzeit wieder ertraeglicher gestaltet werden, Staus wuerden vermieden und auf diese Weise auch die Umwelt entlastet.

Im uebrigen plaediere der DIHT nicht dafuer, das Strassennetz am Spitzenbedarf auszurichten, wie er etwa zu Beginn der Ferienzeit vorhanden sei. Es gebe aber Streckenabschnitte im Fernstrassennetz, die aufgrund der andauernden und hohen Belastungen unzumutbar geworden seien. Für den Abbau derartiger Engpaesse und nicht für andere Zwecke [Fn.11: Solche anderen Zwecke umfassen z.B. die Entlastung der Lohnnebenkosten nach dem „Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform", in dem in Artikel 2 das Mineralölsteuergesetz geaendert wird. Die Mineralölsteuer war aber auch vor der Einführung dieser Gesetzesaenderung bereits seit einigen Jahrzehnten nicht mehr zweckgebunden.] habe laut Strassenbaufinanzierungsgesetz die Mineralölsteuer ursprünglich auch gedient.

Für seine Zuspitzung auf den modellhaft gewaehlten Gegensatz zwischen oekonomie und oekologie bzw. den Versuch, die etablierte oekonomische Grundhaltung darzustellen, dass bestimmte Ressourcen als frei verfuegbare bzw. nicht knappe Gueter angesehen und damit irrelevant wuerden, wird der Vertreter des DIHT in der Diskussion von verschiedener Seite kritisiert. Der Moderator der Veranstaltung nimmt diese Kritik zum Anlass, das zweifellos vorhandene Konfliktpotential zwischen einer etablierten oekonomischen und einer oekologischen Sicht dahingehend zu praezisieren, dass aus seiner Sicht oekologie gleich Langfristoekonomie sei. Die langfristige Sicherung unserer oekonomischen Lebensgrundlagen sei eben nur dadurch sicherzustellen, dass in hoeherem Masse als bisher Ressourcen geschont bzw. auf ein hoeheres Mass an Verteilungsgerechtigkeit geachtet werde. Dies muesse nicht nur zeitlich, also z.B. bezogen auf kommende Generationen, sondern auch raeumlich, also zwischen den heute in verschiedenen Teilen der Erde lebenden Menschen angestrebt werden. Sicher sei es besser, z.B. fairen Handel zu betreiben bzw. generell mehr soziale Gerechtigkeit in der Ressourcennutzung herzustellen als nachträglich die Folgen - z.B. oekonomisch bedingte Wanderungsbewegungen oder Konflikte - durch schlechte Asylgesetze oder durch noch schlechtere Sozialleistungen für Asylanten zu reparieren.

Der Referent des DIHT ergaenzt diese Einschaetzung dahingehend, dass es ihm vor allem darum gegangen sei, moegliche Zielkonflikte pointiert herauszuarbeiten. Das übliche Rollenspiel fuehre aus seiner Sicht dazu, dass die einen sagten, der Ressourceneinsatz interessiere sie nicht, solange die Ressourcen billig genug seien, und die anderen letztlich doch versuchten, eine bestimmte Umweltkapazitaet vorzugeben, nach der sich die Produktion richten muesse. Folge man der zweiten Haltung, habe man zum Schluss eben eine andere Volkswirtschaft. Zwischen diesen Extremen gelte es, Kompromisse zu finden.

Beitraege der Mineralölindustrie

Die Vertreterin des Mineralölwirtschaftsverbandes (MWV) verweist einfuehrend auf die unbestreitbare Tatsache, dass Kraftstoffe aus Mineralöl Grundlage für die Mobilitaet des 20. Jahrhunderts waren, und erlaeutert die aus ihrer Sicht positiven Eigenschaften - hohe Energiedichte, gute Speicherbarkeit und Wirtschaftlichkeit. Da allerdings der wesentlich auf diese Mineralöle angewiesene Verkehr nicht nur Nutzen für die Volkswirtschaft bringe, sondern zwangsläufig auch Kosten verursache - u.a. in Form von Umweltbelastungen - sei es durchaus berechtigt zu fragen, wie Mobilitaetswuensche der Gegenwart erfüllt werden koennten, ohne zu riskieren, dass zukuenftige Generationen ihre Mobilitaetsbeduerfnisse als Folge unseres Verhaltens nicht mehr befriedigen koennten.

Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Verfügbarkeit des Rohstoffes Erdöl. Er wird nach Einschaetzung der Referentin bis weit in das 21. Jahrhundert hinein die Grundlage für den grössten Teil des Kraftstoffmarktes darstellen – zumal es unter Kostenaspekten kaum Alternativen gebe. Die Verfügbarkeit sei entgegen anderslautenden Vermutungen so gesichert, dass selbst unsere Urenkel ein Ende des oelzeitalters nicht erleben wuerden. Zwar habe der Club of Rome 1972 vor einem Ende der oelvorkommen binnen 25 Jahren gewarnt, heute jedoch sei die sog. Reichweite der oelreserven mit 141 Milliarden Tonnen so gross wie nie zuvor und besitze das Potential, auch in den kommenden Jahren weiter anzusteigen statt abzunehmen.

Dies sei wesentlich darauf zurueckzufuehren, dass mit dem Begriff Reichweite die Abschaetzung verbunden sei, welche Vorkommen zu heutigen oelpreisen und mit heutiger Technik wirtschaftlich gewonnen werden koennten. Gerade in der Foerder- und Verarbeitungstechnik, aber auch in der Prospektion seien in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewaltige Fortschritte erzielt worden, so dass sich die Reichweite der zu heutigen Bedingungen wirtschaftlich gewinnbaren Vorkommen in den vergangenen Jahren stetig erhöht und nicht verringert habe. Vor allem die sog. nichtkonventionellen Vorkommen in oelschiefern und oelsanden, die nach heutigem Stand nur mit hoeherem technischen Aufwand und dementsprechend höheren Kosten gewonnen werden können, wuerden die Reichweite nochmals verlaengern (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Weltweite oelvorraete (in Mrd. Tonnen)

In diesem Kontext leiste die Mineralölindustrie ihre Beitraege zur Sicherung einer nachhaltigen Mobilitaet unter folgenden Gesichtspunkten:

  • Groessere Umweltvertraeglichkeit des Verkehrs: Obwohl der Strassenverkehr ständig zugenommen habe, seien die Schadstoffemissionen durch den Einsatz neuer Motor- und Abgastechnologien, verschaerfter Abgasgrenzwerte und verbesserter Kraftstoffe in den vergangenen Jahrzehnten ständig zurueckgegangen.[Fn.12: Diese Aussage bezieht sich offenbar auf Deutschland bzw. evtl. auf die Situation in einigen anderen westlichen Industrielaendern. Unter globalen Gesichtspunkten hat sie keinen Bestand.] Eine Fortsetzung dieser Erfolge sei durch das europaeische Auto/Öl-Programm bereits gesichert, infolge dessen die Emissionen des Strassenverkehrs nach Berechnungen des IFEU-Instituts bis 2010 auf das Niveau der fuenfziger Jahre zurueckfallen wuerden.
  • Ressourcenschonung durch sparsamen Verbrauch: Nicht nur die Emissionen, auch der Kraftstoffverbrauch nehme ab. Bedingt durch die ruecklaeufige Entwicklung der spezifischen Kraftstoffverbraeuche gehe man davon aus, dass trotz eines weiter steigenden Verkehrsaufkommens auch der absolute Benzinverbrauch im Jahre 2010 für Deutschland um rund 18% unter dem Wert des Jahres 1998 liege. Derzeit stagniere er seit einigen Jahren. Auch beim Diesel sei ab 2005 mit einem leichten Rueckgang zu rechnen, so dass man aufgrund einer neueren Studie davon ausgehe, dass die CO2-Emissionen aus dem Strassenverkehr in Deutschland von Mitte der 90er Jahre bis 2020 um rund 15 bis 20% zurueckgehen koennten. [Fn.13: Dies bedeutet unter Bezug auf den von der Bundesregierung vorgegebenen Wert von 25 % Reduktion zwischen 1990 und 2005 de facto ein vollstaendiges Scheitern. Allein zwischen 1990 und 1995 sind die CO 2 -Emissionen so deutlich angestiegen, dass der prognostizierte Rueckgang von 15 bis 20% bis 2020 allenfalls ein Nullsummenspiel bedeuten wuerde.]

  • Preiswerte Bereitstellung des Energietraegers: Die Fokussierung auf Umweltschutzaspekte ignoriere häufig die soziale Dimension einer nachhaltigen Mobilitaet. Eine sozial nachhaltige Mobilitaet bedeute u.a., dass sie für jeden bezahlbar sei. Es seien aber Zweifel angebracht, ob dies in Zukunft auch noch der Fall sein werde. So sei die Mineralölsteuer seit 1988 von 0,48 DM pro Liter unverbleiten Benzins auf 1,04 DM angestiegen. Die Regierung habe in den kommenden vier Jahren eine weitere Erhöhung um insgesamt 0,24 DM vorgesehen, so dass zusaetzlich Kaufkraft in Hoehe von 20 Mrd. DM abgeschoepft werde, was nicht ohne negative Auswirkungen auf Wachstum und Beschaeftigung bleiben koenne. [Fn.14: Bei dieser Argumentation wird nicht berücksichtigt, dass die Kaufkraft durch die Entlastung der Lohnnebenkosten insge samt eher erhöht als gesenkt wird. Vgl. hierzu z.B. Band 127 der Wirtschaftspolitischen Diskurse der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema „ökologische Besteuerung im internationalen Vergleich".] Zudem vergroessere der Preisschub das Gefaelle der Kraftstoffpreise zu den osteuropaeischen Nachbarn, so dass u.a. Tanktourismus mit zusaetzlichen, unproduktiven und umweltbelastenden Wegen wahrscheinlich werde. Aus Sicht der Vertreterin des MWV ist daher zumindest fraglich, ob dieses Mass der steuerlichen Belastung mit den Prinzipien der Nachhaltigkeit vereinbar sei.

Insgesamt werde die Abloesung der Kraftstoffe auf Mineralölbasis in einem langen, allmaehlichen Entwicklungsprozess erfolgen. Erst langfristig koennten alternative Energieträger dazu beitragen, die individuelle Mobilitaet zu gewaehrleisten. Dies habe den Vorteil, dass genuegend Zeit zur Entwicklung von Alternativen zur Verfuegung stehe, die sich allerdings ebenfalls am Leitbild der Nachhaltigkeit messen lassen muessten.

Die ökologische Perspektive

Die ökologische Perspektive, so bestaetigt es der Vertreter des Umweltbundesamtes (UBA), kann sich nicht laenger auf die klassischen – und bereits von anderen Referenten erwaehnten – Aspekte wie Schadstoff- bzw. Laermemissionen oder den Benzinverbrauch von Fahrzeugen beschraenken. Auch so wichtige Aspekte wie Flaechenverbrauch, Stadtvertraeglichkeit oder die Beeintraechtigung des Naturraumpotentials durch die Zerschneidung der Landschaft gehoeren hierher. Generell müssen der Verbrauch aller Ressourcen - d.h. Flaeche, Rohstoffe und Energie - sowie die daraus global resultierenden Boden-, Gewaesser- und Luftbelastungen systematisch betrachtet werden.

Für alle genannten Aspekte besteht der dringende Bedarf, konkrete Umweltziele zu formulieren, denn

  • die Entwicklung des Weltfahrzeugbestandes folgt offenbar mit einer gewissen Verzoegerung der explosiven Entwicklung der Weltbevoelkerung, und daran sind deutsche Technologie bzw. deutsche Unternehmen wie z.B. VW in China fuehrend beteiligt. Auch auf nationaler Ebene sind nach wie vor massive Steigerungsraten im Verkehrsaufkommen gegeben und für die Zukunft zu erwarten (vgl. Kap. 1).
  • die umweltfreundlicheren Verkehrstraeger Eisenbahn und Binnenschiff-fahrt befinden sich relativ gesehen auf dem Rueckzug. Prognosen gehen sogar davon aus, dass es im Jahre 2008 quasi keinen Gueterverkehr mehr auf der Bahn gebe. Die laut dieser Prognose dann auf der Strasse zu transportierenden Guetermengen waeren auch mit einem weiter ausgebauten Strassennetz de facto nicht zu bewaeltigen. [Fn.15: Nach Einschaetzung des UBA-Vertreters könnte diese Entwicklung zur Folge haben, dass etwa die Logistikverbaende, die sich heute noch vehement gegen eine Einführung von Strassennutzungs gebueh ren für den gewerblichen Gueterkraftverkehr zur Wehr setzen, in wenigen Jahren angesichts der massiven Konkurrenz und der Strassenauslastung selbst eine solche Gebuehr fordern.]
  • - insgesamt zeigt die Entwicklung der CO2-Emissionen im Verkehr nicht die von der Regierung angestrebte Abnahme um 25% im Zeitraum 1990 bis 2005, sondern eher eine Zunahme um diesen Wert. Im Flugverkehr ist sogar annaehernd eine Verdopplung der Werte zu erwarten.

über solche Aspekte werde aber, so kritisiert der Vertreter des UBA, in der oeffentlichkeit praktisch kaum gesprochen. Hingegen gebe es z.B. Konzepte zum Ausbau der Flughafenstruktur, ohne dass Randbedingungen aus Sicht einer nachhaltigen Entwicklung erkennbar seien. Im Gegenteil: Wenn etwa die Lufthansa einer Verlegung des innerdeutschen Verkehrs von der Luft auf die Schiene positiv gegenueberstehe und damit vordergruendig eine oekologisch sinnvolle Entwicklung unterstuetze, dann nur deshalb, weil sie aus Kapazitaetsengpaessen heraus die freiwerdenden Start- und Landemoeglichkeiten für den lukrativeren - und oekologisch sehr viel belastenderen - Fernverkehr benoetige.

Die nach wie vor in der oeffentlichen Diskussion vorherrschenden klassischen Schadstoffe sind hingegen aus Sicht des UBA nur noch ein Restthema. Zwar gebe es noch einige Bereiche mit Korrekturbedarf - z.B. Dieselruss, Rasenmaeher, Baumaschinen. Im wesentlichen staenden hier aber serienreife, ausfuehrlich erprobte technische Alternativen zur Verfuegung, die aber - wie im Fall der Dieselrussfilter mit einem Minderungsgrad um mehr als 99,9% - von der Industrie im Pkw-Bereich nicht angeboten wuerden, nicht einmal als Option.

Schwieriger sei es bei den gesundheitlichen Beeintraechtigungen durch Laerm (vgl. Tab. 2), die in der Tat ein erhebliches und angesichts des steigenden Verkehrs weiter zunehmendes Problem darstellten. So liege nach heutigem Wissensstand bei haeufigen Laermbelastungen über 65 dB(A) das Risiko für Herzinfarkte mit einiger Wahrscheinlichkeit um rund 20% höher. Immerhin rund 15% der Bevoelkerung seien Strassenverkehr mit mehr als 65 dB(A) ausgesetzt, und nur rund die Haelfte der Bevoelkerung wohne so ruhig (weniger als 55 dB(A)), dass keine wahrnehmbaren Belastungen auftraeten.

Tab. 2: Gesundheitliche Beeintraechtigungen durch Laerm

Laermintensitaet in dB(A)

Wirkungen bei Nachtlaerm

Dauerlaerm

Einzelereignisse


< 25 – 30

< 40

keine wesentlichen Schlafstoerungen zu erwarten

< 30 – 40

> 40 – 45

Änderungen der Schlaftiefe (REM-Schlaf und Tiefschlaf)


> 50 – 55

messbare vegetative Stressreaktionen im Schlaf (Erhöhung der Herzfrequenz, Vasokonstriktion)


> 50 – 60

Aufwachreaktionen möglich


> 65

Aufwachreaktionen sehr wahrscheinlich

Quelle: eigene Darstellung, nach Angaben des Vertreters des UBA

Daraus abgeleitete Minderungsziele gingen von einer durchschnittlichen Senkung um insgesamt bis zu 13 dB(A) an Hauptverkehrsstrassen und 5 dB(A) an Nebenstrassen aus, um wenigstens einen Mittelungspegel von 65 dB(A) einhalten zu können. Man sei sich allerdings bewusst, dass diese Ziele nicht einfach zu erreichen seien. Da die Dezibelskala logarithmisch angelegt sei, wuerde bereits eine Senkung um 3 dB(A) in etwa eine Halbierung des Verkehrs erfordern. Die technischen Potentiale zur Laermminderung (z.B. Schallschutzwaende, leisere Fahrzeuge) seien begrenzt. Daran zeige sich, dass weder mit einer Reduzierung des Verkehrs noch mit technischen Massnahmen allein das Problem nicht zu lösen sei, beides werde gebraucht.

Unter dem Anspruch einer nachhaltigen Entwicklung muessten aber auch ganz andere Aspekte angegangen werden. Ein zentrales Problem sei der Flaechenverbrauch. Mit Blick auf Forderungen nach mehr Verkehrsflaechen (vgl. Kap. 3.1.1) sei hier die Belastungsgrenze bereits erreicht, da man in Deutschland bezueglich des prozentualen Anteils der Verkehrsflaechen an der Gesamtflaeche auch im internationalen Vergleich bereits extrem hoch liege (Abb. 2).

Abb. 2: Flaechenverbrauch durch Verkehrsinfrastruktur

Quelle: Umweltbundesamt

Solche Entwicklungen, wie etwa auch der von verschiedenen Seiten beklagte Bestandszuwachs bei den Pkw, seien nicht vom Himmel gefallen, sondern die Folge einer langjaehrigen konsequenten Rahmensetzung. So sei z.B. seit 1953 die Kfz-Steuer von damals 14,40 DM pro 100 cm 3 auf einen Regelsatz von heute etwa 10 DM gesunken. Inflationsbereinigt sei dies nur noch ein Bruchteil, und dementsprechend habe die Steuer heute bei der Haltung des Fahrzeuges de facto keine Bedeutung mehr, so dass u.a. aufgrund des Verwaltungsaufwandes ueberlegungen laut wuerden, sie abzuschaffen. Aus Sicht des UBA sei dies der falsche Weg. Statt dessen sollte man sich wieder auf die Lenkungswirkung der Steuer besinnen und sie deutlich erhoehen.

Konsequent aeussert sich der Vertreter des UBA aus oekologischer Sicht enttaeuscht über die Ansaetze des BMVBW (vgl. Kap. 2.1), zumal europaeische Nachbarlaender wie Grossbritannien oder Schweden hier bereits viel weitergehende Konzepte entwickelt und erfolgreich eingesetzt haetten. Zwar gebe es eine beliebige Anzahl allgemein positiver Formulierungen zur nachhaltigen Verkehrsentwicklung, von einer konkreten Trendwende z.B. auch beim Flaechenverbrauch sei man aber weit entfernt. Dabei koenne sich aus seiner Sicht das BMVBW mit verbindlichen Raumplanungskonzepten gleichermassen in Richtung nachhaltiger Verkehr wie auch nachhaltiges Bauen und Wohnen mühelos profilieren. Auch andere Aspekte im Bereich Bauen und Wohnen koennten zu einer nicht nur oekologisch positiven, sondern auch sozial und oekonomisch vertraeglichen Entwicklung des Verkehrsgeschehens beitragen. Dazu gehoere eine nachhaltigkeitsorientierte Änderung der Wohnungsbaufoerderung, bei der derzeit die Gesetzgebung dem Nachhaltigkeitsprinzip entgegenstehe.

Die immer wieder angesprochene Integration sektoraler Aspekte, wie sie ja auch im Vertrag von Amsterdam gefordert werde, sei ohne Ziele völlig unbestimmt. Deswegen muessten auch für den Verkehrsbereich sektorspezifische Ziele festgelegt werden. Aus Sicht des UBA sei es enttaeuschend, dass sich auch der deutsche Verkehrsminister in Bruessel massgeblich dagegen ausgesprochen habe, solche Zielsetzungen überhaupt zu entwickeln, geschweige denn festzulegen – obwohl einige Staaten wie z.B. Finnland, Schweden oder Dänemark dies bereits anstrebten. Beispielsweise koenne eine Festlegung dahingehend getroffen werden, die CO2-Emissionen im Verkehrssektor bis zum Jahr 2005 wieder auf den Stand von 1990 zu bringen; ein sehr vorsichtiges Ziel, das klar hinter der generellen Verpflichtung der EU zurueckbleibe, die Emissionen um 10% zu reduzieren.

Weitere Zielsetzungen muessten für folgende Bereiche formuliert werden: Keine neuen Verkehrswege in oekologisch sensiblen Gebieten - auch darüber gebe es einen Beschluss der Ministerkonferenz – und keine ueberschreitung des Laermpegels von 65 dB(A). Die Richter am Bundesverwaltungsgericht haetten deutlich festgestellt, dass ein solcher Pegel einer Enteignung gleichkomme. Auch die leicht zu erreichende Minderung der Dieselpartikel um 99%, die auch der Sachverstaendigenrat für Umweltfragen gefordert habe, muesse umgesetzt werden.

Von besonderer Bedeutung sei aber die Festlegung eines Instrumentariums für eine strategische Umweltvertraeglichkeitspruefung. Es sei unumgaenglich, dass die Planung der Infrastruktur verkehrstraegeruebergreifend auch mit oekologischen Zielen in Einklang gebracht werde – zumindest dort, wo entsprechende Planungen den allgemein akzeptierten Forderungen nach Klimaschutz und Ressourcenschonung diametral entgegenliefen. Man duerfe keinen Bundesverkehrswegeplan entwickeln und dabei lapidar feststellen, dass sich damit die CO2-Emissionen um 7% erhoehten, wie das beim derzeit gueltigen Plan aus dem Jahr 1992 der Fall gewesen sei.

Die Einführung einer verbindlichen Pruefung der Auswirkungen von verkehrlichen Massnahmen auf alle Bereiche, aber auch umgekehrt der Auswirkungen z.B. von gesetzlichen Massnahmen in anderen Bereichen auf das Verkehrsgeschehen sei für die Entwicklung und Verwirklichung von Mobilitaetsstrategien unerlaesslich. Wenn beispielsweise heute jemand eine Kreislaufwirtschaft einfuehre, erzeuge er damit Verkehr. Ebenso koennten Änderungen des Schulgesetzes verkehrliche Effekte ausloesen. Diese Zusammenhaenge seien den meisten Menschen aber gar nicht klar, und so habe der Verkehr dann oft das auszubaden, was in anderen Bereichen beschlossen wurde.

Ein weiterer wichtiger Aspekt sei schliesslich die Festlegung von Zwischenzielen für langfristige Strategien. Hier seien allerdings in der Regel Politiker aller Parteien geschlossen gegen Festlegungen, die noch vor den naechsten Wahlen ueberpruefbar seien. Das Thema ueberpruefbarkeit bringe im uebrigen mit sich, dass Indikatoren festgelegt werden muessten, mit denen die Erreichung der Ziele transparent und nachvollziehbar zu messen sei.

Die soziale Perspektive

Die ueblicherweise unter dem Begriff soziale Perspektive subsumierten Aspekte umfassen vorrangig das Thema Arbeitsplatzsituation. Im Rahmen der durchgefuehrten Veranstaltung wurde ein anderer Ansatz gewählt, indem man sich vorrangig mit den Grundlagen des sozialen Miteinander, sozialer Ansprueche und Widersprueche auseinandersetzte. Der Grund dafuer, so betonte der Moderator der Fachtagung, sei u.a. darin zu suchen, dass es schwierig sei, mit der Diskussion um Arbeitsplatzeffekte im Verkehr und durch den Verkehr zu befriedigenden Ergebnissen zu kommen. Dies sei sicher auch ursaechlich dafuer, dass man die Arbeitsplatzproblematik in den Indikatorensystemen für eine nachhaltige Mobilitaet eigentlich nicht vorfinde. Es greife zu kurz, sektorale Ziele zu formulieren; statt dessen muesse man die Diskussion um Beschaeftigungseffekte in einem gesamtgesellschaftlichen bzw. gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang sehen.

Aus soziologischer Sicht, so der Vertreter des Wissenschaftszentrums Berlin, sei die Wahrung des Unterschieds zwischen den Begriffen Mobilitaet und Verkehr von zentraler Bedeutung. Mobilitaet repraesentiere vor allem die gedankliche Modellierung von Bewegungen. Verkehr finde vereinfacht gesagt auf der Strasse statt und repraesentiere damit die materielle Umsetzung von Mobilitaet einschliesslich ihrer Auswirkungen auf die Umwelt. Nutze man beide Begriffe synonym, wie es heute in der oeffentlichen Diskussion sei, so verschenke man analytisches Potential und begebe sich eines zentralen Ansatzpunktes zur Problemloesung [Fn.16: Der Vertreter des Umweltbundesamtes unterstuetzt diesen Ansatz mit einem praktischen Beispiel: Baue man ein Squash-Center vor der Stadt statt in der Stadt, so habe man die gleiche Mobilitaet, aber eine höhere Verkehrsleistung. Mit solchen Entscheidungen werde eben gerade keine Mobilitaet erzeugt, im Gegenteil werde sie oft zerstoert, sei es aus Zeitmangel oder aus einem Mangel an dem okra tischen Entscheidungsstrukturen.] .

Betrachte man hingegen beide Begriffe getrennt, so stelle man schnell fest, dass es sich um ein dialektisches Verhältnis handele – Mobilitaet und Verkehr bedingen einander und sind zwingend voneinander abhaengig. Das, was man im Kopf als Bewegung modelliere, z.B. auch in Form eines Szenarios für nachhaltige Mobilitaet, sei u.a. sehr stark abhaengig davon, welche Verkehrsangebote zur Verfuegung staenden. Aufbauend auf dieser Erkenntnis lasse sich das Geschehen besser differenzieren und in seinen wechselseitigen Abhaengigkeiten verstehen. So bringe etwa das vom Referenten der ITAS als Erfolg dargestellte Karlsruher Modell (vgl. Kap. 2.1) nicht nur die positiv bewertete Verlagerung des Verkehrs auf den oePNV (hier: Strassenbahn) mit sich, sondern habe auch dazu gefuehrt, dass sich in Karlsruhe die Mobilitaet bzw. die Bewegungsraeume im Kopf erweitert haetten und auf diese Weise die wenig nachhaltigen Zersiedlungstendenzen in der Karlsruher Umgebung durch die neue Strassenbahn letztlich doch unterstuetzt worden seien. An solchen dialektischen Beziehungen werde klar, dass man immer darauf acht geben muesse, welchen Massstab man wie an welches Erfolgskriterium anlege, und dass man sich immer wieder die jeweiligen Wechselwirkungen ansehen muesse.

Ein weiterer, für das Verstaendnis der derzeitigen Entwicklungen entscheidender Aspekt ist die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben, und wie wir in Zukunft leben moechten. Will man Massnahmen zur Umgestaltung Richtung nachhaltige Mobilitaet ableiten, so macht es wenig Sinn, sich in der Diskussion auf materielle bzw. oekonomische Aspekte, auf Stoffkreislaeufe bzw. auf physikalische Kenngroessen zu beschraenken. Der Vertreter des WZB erinnert daran, dass raeumliche und soziale Mobilitaet eine zentrale Grundlage unserer modernen demokratischen Gesellschaft sei: Durch sie seien die Zugaenge zu materiellem und kulturellem Kapital gewaehrleistet, und diese gesellschaftliche Teilhabe werde vor allen Dingen ohne lokale Begrenzung organisiert. So ermoegliche z.B. – als typisches Beispiel für den Einfluss der Mobilitaet auf die Entwicklung des Einzelnen – die Finanzierung von Schulbussen auch denjenigen Schuelern den Besuch von Gymnasien, an deren Wohnort es diesen Schultyp nicht gibt. Spart die oeffentliche Hand solche Gelder ein, koennten weniger Menschen die entsprechenden Bildungschancen wahrnehmen. Daraus ergaeben sich wiederum weitere Konsequenzen, z.B. in Hinsicht auf Siedlungsstrukuren bzw. generell für das gesellschaftliche Miteinander.

Man muesse sich im uebrigen darüber im klaren sein, dass jede arbeitsteilig funktionierende Demokratie Verkehr erzeuge. Diese Erkenntnis werde im Rahmen der Nachhaltigkeitsdiskussionen immer gerne beiseite geschoben. In der Soziologie werde aber schon seit laengerem die Entwicklung der Nachkriegsgesellschaft in Deutschland mit der Metapher des Wechsels von der Eisenbahngesellschaft zur Autogesellschaft umschrieben. Eisenbahn stehe in diesem Zusammenhang für feste (Lebens-)Fahrplaene, klare Biographien, fest formierte gesellschaftliche Strukturen, klassische sinnstiftende Institutionen. Kirche, Parteien, Staat, alles sei klar strukturiert.

Diese Gesellschaft sei in Aufloesung begriffen. Wir lebten heute in fraktalen bzw. offenen und vielfaeltigen Teilgesellschaften; Lebensplanungen liefen zunehmend nicht mehr nach Fahrplan. Von den Menschen werde erwartet, sich eigenstaendig zu organisieren. Traditionelle Selbstverstaendlichkeiten der Lebensentwuerfe seien weg und nur eingeschraenkt durch neue ersetzt. Gemeinsame, gesellschaftsuebergreifende Ziele seien lockerer gekoppelt, man sei ein „individueller Pluraler", und Begrifflichkeiten wie Eigenzeiten, eigene Raeume, Eigensinnigkeiten charakterisierten dieses Geschehen. Sie stellten letztlich auch die Benchmarks dar, an denen jegliche verkehrliche Gestaltung gemessen werde.

Angesichts dieses strukturellen Wandels helfe es aus Sicht des WZB-Vertreters wenig, die Rueckkehr zum oeffentlichen Verkehr, so wie wir ihn kennen, zu propagieren. Die Art von oeffentlichkeit, für den der oeffentliche Verkehr konzipiert war, funktioniere bzw. existiere immer weniger. oeffentlicher Verkehr muesse heute mit einer viel distanzierteren oeffentlichkeit rechnen, mit einem veraenderten Raumbedarf, mit einem ganz anderen Differenzierungsbedarf. Nachhaltigkeitskonzepte muessten diesen Entwicklungen von vornherein Rechnung tragen, ein Zurueck zu den klassischen Formen des oeffentlichen Massenverkehrs werde es angesichts des gesellschaftlichen Wandels wohl kaum geben. Die stetigen Verluste an Marktanteilen für etablierte Angebote im oeffentlichen Verkehr spraechen für sich.

Dem wird in der Diskussion entgegengehalten, in der Schweiz sei dies durchaus anders. So habe z.B. die Bahn dort einen Anteil an der Nutzung der Verkehrstraeger (sog. Modal Split), der doppelt so hoch wie in Deutschland sei. Der Vertreter des WZB entgegnet, die teilweise besseren Nutzungsgrade im oeffentlichen Verkehr der Schweiz seien vor allem auch darauf zurueckzufuehren, dass man hiesigen Verhaeltnissen hinsichtlich der verkehrlichen Integration um einiges voraus sei. Im Zuericher Modell wuerde z.B. alles einheitlich dargestellt, abgestimmt und alle Verkehrstraeger seien auf einer Karte abrechenbar. Der Moderator der Veranstaltung weist ergaenzend darauf hin, dass der Schweizer Staat sich dies viel kosten lasse, dass aber die spezifischen Bedingungen der Schweiz nicht ohne weiteres uebertragbar seien. Insgesamt sei bemerkenswert, dass die Schweizer mit die hoechste Pro-Kopf-Mobilitaet in Europa haetten.

Die weitere Entwicklung des Mobilitaetsbeduerfnisses sei ohnehin nicht auf die nationalen Verhältnisse zu beschraenken - das raumgreifende und damit verkehrstreibende Modell der Demokratie als möglichst für Alle garantierte Teilhabe gelte für die gesamte EU und seit Maastricht auch darüber hinaus. Marktraeume und damit Anspruchsraeume dehnten sich insgesamt weit über nationale Grenzen hinaus aus. Beispiele seien nicht auf die bekannte Tatsache beschraenkt, dass deutsche Rentnerinnen und Rentner das gesetzlich verbriefte Recht haetten, sich die Rente auf Mallorca oder auf den Kanaren auszahlen zu lassen. Generell, so der Vertreter des WZB, seien soziale Transferzahlungen immer weniger an nationale Grenzen gebunden [Fn.17: Weitergehend muss sogar festgehalten werden, dass zumindest für das wohlhabendere Drittel der Gesellschaft die gesamte lebenslange Erzielung von Einkommen angesichts von Erbschaften, zunehmenden Gewinnen aus Geldgeschaeften (Aktien, Fonds etc.) immer weniger durch den raeumlichen Zwang einer abhaengigen Beschaeftigung bestimmt sein wird. Hinzu kommt die zuneh mende Flexibilisierung durch Telearbeit etc.] . Dabei sei das Geschehen jedoch keineswegs nur von erweiterten Möglichkeiten bestimmt. Optionserweiterungen schluegen regelmaessig sehr schnell auch in Erwartungshaltungen bzw. weitergehend auch in Verpflichtungen um. So sei keineswegs auszuschliessen, dass etwa ein deutscher Arbeitsloser, für den das Arbeitsamt schon heute die Grenze der zumutbaren Fahrzeit bei rund zweieinhalb Stunden taeglich ansetze, demnächst auch seine Arbeitsplatzsuche bis Dublin ausdehnen muesse bzw. triftige Gruende für die Ablehnung einer Vermittlung nach Dublin anfuehren muesse, um seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erhalten.

Das, was mit Maastricht oder Euro nur notduerftig umschrieben werde, seien ausgedehnte politische Raeume, die letztlich zwangsläufig auch Verkehr nach sich zoegen. Ein solcher Verkehr muesse anders organisiert werden. Entscheidend sei, dass er nicht mehr von der Technik, sondern von den Funktionen her dargestellt werde. Derzeit muesse man sich nach seiner Einschaetzung vor allem mit dem Dilemma auseinandersetzen, dass man entweder den Anspruch auf unbeschraenkte Teilhabe am gesamten materiellen und kulturellen Kapital für alle Buerger als elementares Merkmal einer modernen demokratischen Gesellschaft beibehalte; dann muesse man auch den Verkehr akzeptieren. Die andere Möglichkeit sei, die durchaus plausiblen wissenschaftlichen Fundierungen ernst zu nehmen, dass die natuerlichen Lebensgrundlagen bereits ueberstrapaziert waeren. Dann muesse man eine andere Art von Demokratie definieren, eine andere Art von Menschenrechten. Dazu gehoere dann letztlich auch ein anderes Menschenbild. Beides zusammen, so die leider unbequeme Botschaft der Soziologie, gehe nicht.

Man koenne natuerlich auch auf die Stunde der Ingenieure hoffen. Eines aber koenne man sicher nicht: Normative Stoffkreislaeufe basteln und hoffen, dass sich doch alles irgendwie auf natürliche Art und Weise einpendele oder dass sich alle ein bisschen zusammenreissen und nicht mehr so viel fahren. Das werde sicher nicht funktionieren.

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